Urteil vom OLG Naumburg vom 04.08.2022, Aktenzeichen: 2 U 162/21
Sachverhalt:
Zwei Töchter hatten von ihrem Vater eine Immobilie übertragen erhalten. Dabei hat sich der Vater aber ein Wohnungsrecht von 80 % an der Gesamtfläche für sich und seine Frau vorbehalten.
Die Übertragung ist länger als zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgt.
Mit der Übertragung war auch vereinbart worden, dass der Grundbesitz bis zum Tode des länger lebenden Ehegatten nicht veräußert und auch nicht belastet werden durfte. Ansonsten hätte eine Rückübertragung erfolgen müssen.
Die Eheleute hatten dann über ein Testament ihre beiden Töchter je zur Hälfte eingesetzt und der Sohn war enterbt worden.
Nach dem Tode des zuletzt verstorbenen Vaters hat der Sohn mit der Geldendmachung des Pflichtteilsanspruchs auch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch hinsichtlich des Grundstückswertes geltend gemacht.
Das Oberlandesgericht Naumburg hatte nun darüber zu entscheiden, ob dem Sohn ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zusteht.
Gemäß § 2325 Abs. 1 BGB kann ein Pflichtteilsberechtigter als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht hat, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass zugerechnet wird, wenn der Erblasser einen Dritten eine Scheckung gemacht hat.
Nach § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB bleibt die Schenkung allerdings unberücksichtigt, wenn seit der Schenkung zehn Jahre vergangen sind.
Eine Ausnahme des Fristbeginns mit Schenkung ist aber dann gegeben, wenn dem Schenker, z. B. wegen eines Nießbrauchs, der Nutzungswert im Wesentlichem verbleibt. Dann ist für den Fristbeginn nicht der Zeitpunkt des Eigentumsübergangs maßgeblich, sondern erst der Zeitpunkt des Wegfalls des Nutzungsrechts.
Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht Naumburg dann festgestellt, dass zwar von den Eltern bzw. dem Vater das Eigentum an der Immobilie mehr als zehn Jahre vor seinem Tod auf die Töchter übertragen worden war. Allerdings hatte sich der Vater mit seiner Frau ein Wohnrecht von 80 % vorbehalten. Die Töchter als Eigentümerinnen waren damit weitgehend von der tatsächlichen Grundstücksnutzung ausgeschlossen, da der Vater zusammen mit seiner Frau die tatsächlich Verfügungsgewalt bis zu ihrem Lebensende hatten, wobei dies noch durch die Einschränkung, dass das Immobilie weder belastet noch veräußert werden durfte, verstärkt wurde.
Aus diesem Grund kam das Oberlandesgericht Naumburg zum Ergebnis, dass die zehn Jahresfrist nicht angelaufen war, so dass ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bejaht wurde.
Pflichtteilsergänzungsansprüche bei Angehörigen mit Behinderung
Derartige Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 BGB sind immer auch dann zu beachten, wenn es innerhalb einer Familie einen Angehörigen mit Behinderung gibt. Wenn einem Angehörigen mit Beeinträchtigung, z. B. über ein Behindertentestament, etwas zugewendet wird, aber z. B. die Eltern auch anderen Kindern oder Angehörigen Schenkungen machen, muss bei der Gestaltung darauf geachtet werden, dass diese Schenkungen dann auch entsprechend ausgeglichen werden, um einen Zugriff eines Sozialhilfeträgers, von dem der Angehörige mit Beeinträchtigung Leistungen erhält, verhindert wird, um nicht den Sinn und Zweck des Behindertentestaments zu gefährden.
06.04.2023